Unser erfolgreichster Migrant, der nicht als solcher anerkannt wird
Seit die erste Kartoffelpflanze in Deutschland erblühte, sorgte sie mehr für Uneinigkeit als für Zusammenhalt, obwohl sie ursprünglich das letztere symbolisieren sollte. Die erste Unstimmigkeit begann mit der Namensgebung: Was ist das denn jetzt? Und wie soll es heißen? Ist es ein Apfel oder eine Birne, die in der Erde wächst? Man wusste lange nicht, wie man sie nennen soll und die Benennungen sind sehr vielfältig, fast so vielfältig wie die Anzahl an Kartoffelsorten, die es gibt.
Wäre das nicht schon genug, sorgte die Kartoffel auch für Diskussionsbedarf bezüglich ihrer Verwendung: Soll man sie essen oder nicht? Bei zu langer Lagerung bilden sich Giftstoffe in der Schale. Deswegen glaubte man eine Zeit lang, dass die Kartoffel giftig sei.
Erst durch das Eintreten von Missernten und Hungersnöte änderte sich plötzlich die Vorstellung von der Kartoffel: Richtig gelagert oder zubereitet war sie nicht mehr giftig, sondern nahrhaft und vor allem nützlich. Dieser unfreiwillige Perspektivenwechsel entstand durch den ersten Kartoffel-Befehl von Friedrich II. von Preußen im Jahr 1746, der es allen Bürgern vorschrieb, Kartoffeln anzubauen, um die Ernährung der Bevölkerung zu sichern.
Leider wird oft vergessen, dass vor über 8.000 Jahren bereits die Bewohner des Hochlandes der Anden Kartoffeln anpflanzten. Es waren die Inkas, die riesige Terrassenfelder für die Knollen bauten. Sie waren der Überzeugung, dass die Kartoffel ein eigenes Subjekt ist, das die Ziele verfolgt, den Hunger im Inka-Reich zu vermeiden und Frieden zu stiften.
Sogar Pippi Langstrumpf hat über den genauen Ursprungsort der Kartoffeln gesprochen: Fast jeder hat vom Titicacasee gehört, der höchstgelegene, schiffbare See der Welt. Und was hat das mit unserer essbaren Knolle zu tun? Sehr viel, denn ihr Ursprungsort befindet sich 3500 m über dem Meeresspiegel am Titicaca-Becken. Man kann sogar sagen, dass die Kartoffeln die Höhe und die Kälte lieben.
Von den 5000 existierenden Kartoffelsorten wachsen um die 4000 in Peru und 180 Sorten in Deutschland. Gerade wegen ihrer extremen Anpassungsfähigkeit ist sie heutzutage auch in Deutschland und in über 100 Ländern der Welt verbreitet.
Tausende von Jahren war sie der große Schatz der Inkas und seit 2008 ist die Kartoffel laut der Welternährungsorganisation ein Grundbestandteil der Ernährung der Weltbevölkerung.
Die Weltgemeinschaft erkannte den Wert der Philosophie der Inkas: die Kartoffel ist das Symbol für den Kampf gegen Hunger, sie ist nicht nur ein Friedensstifter, sondern war zugleich der erste Botschafter aus Südamerika, die damit ihre Solidarität an die Länder des Nordens gezeigt haben, indem sie ihnen Kartoffelknollen schenkten.
Aus diesem kurzen geschichtlichen Diskurs ist es für uns unbegreiflich, wie die Kartoffel als ein negatives Symbol verwendet werden könnte.
Zum einem ist die Kartoffel der erfolgsreichste Migrant der deutschen Geschichte. Dies nicht anzuerkennen, ist aus Sicht der indigenen Bevölkerung Südamerikas eine Rücksichtslosigkeit unserem gemeinsamen kulturellen Erbe gegenüber.
Zum anderen steht der Preis der „Goldenen Kartoffel“ für eine miserable Bewertung für Journalisten, deren Arbeit als „unterirdisch“ schlecht gilt; für Menschen, die nichts über die Geschichte der Kartoffel wissen, für die die Philosophie der Kartoffel wertlos ist, welche eigentlich Vielfalt ebenso wie Gemeinschaft in ihrer Höchstform symbolisiert.
Wir von der Toupi Group a.s.b.l. als peruanisch-deutschem Verein finden es richtig, dass es Medien gibt, die interkulturellen Journalismus fördern und aus diesem Grund sind wir verwundert über die Wahl des Namens „Goldene Kartoffel“, den die Verleiher des Preises nur deshalb als „ideal“ bezeichnen, da die Kartoffel unterirdisch wächst.
Diese Wahl kann ein Zeichen für eine stark eurozentrisch geprägte Gesellschaft sein, die globales Denken zwar postuliert, aber in der Tat nicht umsetzt und dieses Verhalten so internalisiert hat, dass die Stimmen der indigenen Bevölkerung nicht berücksichtigt werden.
Vielleicht werden sie nicht berücksichtigt, weil niemand geahnt hat, dass ein Teil der indigene Bevölkerung von diesem Preis erfahren wird.
Die Jury mag die besonders einseitige oder missratene Berichterstattung eines Journalisten bewerten und begründen können, aber nach unserer bescheidenen Meinung ist die Namenswahl ebenso eine missratene Leistung für einen Preis, der eine deutsche Nachahmung vom „The Rusty Radiator Award“ aus Norwegen sein möchte.
Aber eine positive Botschaft gibt es schon: Die Stadt Rehau erteilt seit 1998 einen Ehrenpreis für prominente Persönlichkeiten unter dem Namen „Goldene Kartoffel“, um damit die besondere Rolle der Kartoffel für unsere Ernährung zu würdigen.
Fernando Andia Cochachi
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Der Name des Autors/Fotografin soll wie folgt genannt werden: by-nc-sa/3.0/
Autor: Fernando Andia Cochachi /Photo: Willem Justen de Valconcellos/Caddie Brain/ Instituto de desarollo y mediambiente Peru